00:00:00:00 - 00:00:40:18 Sonja Merten Wir hatten einen Kardiologen, der uns darauf hingewiesen hat, dass es Unterschiede gibt in der Symptomatik von Herzinfarkten bei Männern und Frauen. Erstaunlich finde ich, dass dies bis heute jedoch noch nicht in den Köpfen der praktizierenden Mediziner und Medizinerinnen so angekommen ist. Also wir lernen nicht in jedem Bereich die Unterschiede anzusehen zwischen den Männern und den Frauen, obwohl sich das wahrscheinlich öfters anbieten würde, als es bis jetzt geschieht, weil wir ja auch wissen, dass das hormonelle Profil der Frauen sehr unterschiedlich ist. 00:00:40:20 - 00:01:01:11 Sonja Merten Bei den Frauen kommt oft die Doppelbelastung Familie und Beruf dazu, dass sie dann mehr Stress aussetzt und was auch wieder zu gewissen chronischen Erkrankungen führen kann und natürlich auch die mentale Gesundheit belasten kann. 00:01:01:13 - 00:01:28:17 Catherine Weyer Hallo und herzlich Willkommen bei Unisonar, dem Wissenspodcast der Universität Basel. In dieser Staffel schauen wir uns mit Expert*innen der Universität Basel Forschungsfelder an, die sich mit dem Thema Gender befassen. Eine Frau kommt auf den Notfall. Sie schildert Atemnot, Rückenschmerzen zwischen den Schulterblättern, Übelkeit, Müdigkeit, Nackenschmerzen. Der Assistenzarzt nimmt die Anamnese vor und stellt die Diagnose: Panikattacke. Er schickt die Frau nach Hause. 00:01:28:19 - 00:01:52:03 Catherine Weyer Auf dem Heimweg bricht sie zusammen. Herzinfarkt. Das Beispiel ist zwar erfunden. Meine heutige Gästin braucht es aber immer wieder, wenn sie Medizinstudenten den Gender Bias in der Medizin erklärt. Was es damit auf sich hat? Wieso gerade im globalen Süden das Thema Gesundheit und Geschlecht eine wichtige Rolle spielt und weshalb Frauen mehr über ihre Menstruation sprechen müssen. Darüber rede ich heute mit Sonja Merten. 00:01:52:05 - 00:02:05:08 Catherine Weyer Sie ist Professorin und Leiterin der Einheit Society, Gender and Health im Schweizerischen Tropen und Public Health Institute und Lehrbeauftragte an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Herzlich Willkommen! 00:02:05:10 - 00:02:06:22 Sonja Merten Vielen Dank. 00:02:06:24 - 00:02:19:15 Catherine Weyer Mein Name ist Catherine Weyer. Bei Unisonar tauchen wir mit Expert*innen der Universität Basel auf den Grund ihrer wissenschaftlichen Forschung. Frau Merten, was hat es mit dem Beispiel der Patientin auf sich? 00:02:19:17 - 00:03:04:05 Sonja Merten Ja, wenn ich Sie höre, dann denke ich daran zurück, als ich studiert habe. Das ist jetzt lange her, das war vor 2000, da habe ich dieses Beispiel schon gehört im Unterricht. Und wir hatten einen Kardiologen, der uns darauf hingewiesen hat, dass es Unterschiede gibt in der Symptomatik von Herzinfarkten bei Männern und Frauen. Erstaunlich finde ich, dass dies bis heute jedoch noch nicht in den Köpfen der praktizierenden Mediziner und Medizinerinnen so angekommen ist, dass es immer noch geschieht, dass Frauen weniger gut diagnostiziert werden, bei der Therapie weniger gut ansprechen. 00:03:04:05 - 00:03:11:15 Sonja Merten Auf die Versuche bei einem Herzinfarkt dann sie zu behandeln. 00:03:11:17 - 00:03:20:13 Catherine Weyer Ende Januar 2025 erschien eine Studie von Forschenden in der Universität Basel und vom Universitätsspital Basel, die Ähnliches berichtet. 00:03:20:15 - 00:03:58:24 Einspieler Herz Kreislauf Stillstand ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Trotz Fortschritten in der modernen Medizin Bisherige Daten deuten darauf hin, dass Frauen nach einem Herzstillstand oft schlechtere Überlebenschancen haben und eine geringere Lebensqualität aufweisen als Männer. Die Gründe hierfür sind vielfältig und könnten neben biologischen Unterschieden auch auf seltenere oder verzögert durchgeführte Wiederbelebungsmassnahmen bei Frauen zurückgeführt werden. Die Forschenden vermuten verschiedene Gründe für diese Ungleichbehandlung von Patientinnen und Patienten, die einen Herz-Kreislauf-Stillstand überlebt haben. 00:03:59:01 - 00:04:07:12 Einspieler Dazu gehören biologische Unterschiede, soziokulturelle Faktoren und unbewusste Denkmuster, die Männer begünstigen. 00:04:07:14 - 00:04:14:23 Catherine Weyer Aber wie kann das sein, dass man seit über 20 Jahren es nicht geschafft hat, diese Unterschiede auszumerzen in der Medizin? 00:04:15:00 - 00:04:39:16 Sonja Merten Ich wäre froh, ich könnte Ihnen diese Frage beantworten. Leider kann ich das nicht. Ich denke, es hat auch mit der gesellschaftlichen Realität zu tun, dass wir nach wie vor sehr stark in diesen Mustern verankert sind, dass man ausgebildet wird: Es gibt einen Körper, ein Modell, und dann gibt es gelegentlich Abweichungen bei den Frauen von diesem Ein-Körper-Modell. 00:04:39:18 - 00:05:14:18 Sonja Merten Und das ist natürlich nach wie vor in den Büchern zu finden. Also wir lernen nicht in jedem Bereich die Unterschiede anzusehen zwischen den Männern und den Frauen, obwohl sich das wahrscheinlich öfters anbieten würde, als es bis jetzt geschieht, weil wir ja auch wissen, dass das hormonelle Profil der Frauen sehr unterschiedlich ist. Auch, dass die Zyklen quasi auch innerhalb einer Frau Unterschiede in der Reaktion auf zum Beispiel auch Infektionen usw. bewirken. 00:05:14:20 - 00:05:24:01 Sonja Merten Wir haben einfach noch sehr wenig Wissen und das wenige Wissen, das wir haben. Das wird noch sehr zögerlich erst in die Ausbildung integriert. 00:05:24:03 - 00:05:27:01 Catherine Weyer Sie tun das bei den Medizinstudierenden. Wie machen Sie das? 00:05:27:03 - 00:06:06:17 Sonja Merten Ja, also wir haben gemeinsam mit Expertinnen und Experten hier in Basel das Curriculum dahingehend revidiert, dass in gewissen Feldern ganz explizit jetzt die Unterschiede zwischen den Geschlechtern gelehrt werden sollen. Das ist natürlich noch nicht alles, aber es ist doch ein Anfang. Wir versuchen jetzt, die Studierenden darauf zu sensibilisieren, dass es eben diese Unterschiede gibt und sie sich darüber Gedanken machen sollen, wenn sie eine Patientin oder einen Patienten in ihrer Praxis oder Sprechstunde haben. 00:06:06:19 - 00:06:16:21 Catherine Weyer Sie sind Leiterin der Einheit Society, Gender and Health. Hier zeigt man ja ganz klar, dass es wichtig ist, Gender und Gesundheit zusammenzudenken. 00:06:16:23 - 00:06:58:12 Sonja Merten Ja, genau. Ich möchte hier doch noch eine Begriffsklärung vornehmen. Wenn wir von Gender sprechen, dann denken heute viele an Diversität, Sexualität, Transsexualität, nicht-binär usw. Eigentlich ist der Begriff Gender wurde der geprägt als Gegenpol zu Sex. Sex, als biologische Unterschiede zwischen Geschlechtern. Das gibt zwei und mehr als zwei. Es gibt natürlich auch verschiedene Zwischenstufen zwischen den klassischen binären Polen. 00:06:58:14 - 00:07:31:14 Sonja Merten Gender bezeichnet eigentlich die soziale Konstruktion von Geschlecht. Also was verstehen wir darunter? Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Wie muss eine Frau sein? Wie muss ein Mann sein? Welchen Beruf macht ein Mann, welchen Beruf eine Frau? Wenn Sie sich das so denken, dann wird ganz klar, dass natürlich die Exposition gegenüber Risikofaktoren für Krankheiten sich ebenfalls unterscheidet zwischen den Männern und den Frauen, die so gesellschaftlich geprägt wurden. 00:07:31:18 - 00:08:11:24 Sonja Merten Also bei den Männern wissen wir, dass sie oft in Berufen arbeiten, in manuellen Berufen auch, zum Beispiel im Strassenbau oder als Handwerker. Da sind sie gegenüber Unfällen stärker exponiert als Frauen, die vielleicht eher in Bürotätigkeiten beschäftigt sind. Und dann jedoch bei den Frauen kommt auf die Doppelbelastung Familie und Beruf dazu, dass sie dann mehr Stress aussetzt und was, was auch wieder zu gewissen chronischen Erkrankungen führen kann und natürlich auch die mentale Gesundheit belasten kann. 00:08:12:01 - 00:08:44:17 Sonja Merten Das nennt man die sozialen Determinanten von Gesundheit. Dazu kommt auch, dass man weiss, dass Personen, die ein höheres Einkommen haben, viel mehr Chancen haben, gesund zu sein als Personen mit tiefen Einkommen. Wir wissen dann wiederum, dass Frauen zum Beispiel, gerade wenn sie alleinerziehend sind, eher zu den Tiefstverdienenden gehören. Und da kumulieren sich dann gewisse Risiken, die die Gesundheit beeinträchtigen können, verstärkt bei den Frauen im Vergleich zu den Männern, die andere Risiken aufweisen. 00:08:44:17 - 00:08:53:15 Sonja Merten Und dann abgeleitet davon findet man natürlich auch unterschiedliche Profile von Erkrankungen. Dann bei den Männern und den Frauen. 00:08:53:17 - 00:09:03:08 Catherine Weyer Diese soziale Determinante, das ist ja etwas Globales. Ihre Forschung bezieht sich auf den globalen Süden. Gibt es hier noch andere Punkte, die hervorstechen? 00:09:03:10 - 00:09:28:06 Sonja Merten Im globalen Süden war es lange so, dass Frauen viel schlechteren Zugang zu Bildung haben. Das war früher in Europa auch so, aber das hat sich früher geändert. Und dann sind die Frauen noch viel abhängiger von ihren Ehemännern oder Vätern und entsprechend können sie auch einfacher ausgebeutet werden in Bezug auf Arbeit. Es gibt auch sexuelle Ausbeutung von Frauen. 00:09:28:06 - 00:10:11:13 Sonja Merten Es gibt nach wie vor Verheiratung von Frauen gegen ihren Willen. Das ist sicher häufiger in Regionen mit niedrigen Einkommen. Das wirkt sich auf verschiedenster Ebene wieder auf die Gesundheit der Frauen aus. Frauen haben dann, wenn sie keinen Zugang zu Einkommen haben, manchmal auch weniger guten Zugang zu Gesundheitsversorgung für sich selber. Auf der anderen Seite werden Frauen im globalen Süden aber durch die Gesundheitssysteme verstärkt angesprochen, weil insbesondere die reproduktive Gesundheit die wurde schon länger verstärkt aufgebaut, auch in der primären Gesundheitsversorgung. 00:10:11:19 - 00:10:30:18 Sonja Merten Und dort wiederum finden findet man mehr Frauen, die Zugang dazu haben. Währenddessen bei den Männern eigentlich dann das Problem ist, dass sie selten Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen, auch wenn sie es benötigen würden. Also die ganze Situation ist einigermassen komplex. 00:10:30:20 - 00:10:38:09 Catherine Weyer Wenn er uns jetzt ein konkretes Beispiel anschauen: Welche Forschung betreiben Sie im globalen Süden? 00:10:38:11 - 00:11:14:09 Sonja Merten Ich möchte vielleicht zwei Projekte erwähnen. Das eine ist ein Projekt, da geht es um den Zugang zu Gebärmutterhalskrebsvorsorge im globalen Süden ist vielleicht im Unterschied zur Schweiz jetzt zum Beispiel kann man sagen, dass diese Programme sehr spät eingeführt wurden für die Frauen und sie wurden vor allem eingeführt im Zusammenhang mit HIV-Infektionen, weil Frauen mit HIV Infektionen ein sehr stark erhöhtes Risiko haben an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. 00:11:14:13 - 00:11:16:09 Catherine Weyer Das heisst spät. 00:11:16:11 - 00:11:51:11 Sonja Merten Also in den letzten vielleicht zehn Jahren wurden die Programme die ersten Programme eingeführt. Wir kennen diese Programme schon und ich weiss jetzt nicht genau, sicher seit den 80er Jahren oder vielleicht noch früher. In Europa wurde dies eingeführt, bevor man wusste, dass ein Virus verantwortlich war, das auch sexuell übertragen werden kann. Also Gebärmutterhalskrebs ist einfach ein Krebs. Das macht Angst, aber es ist keine sexuell übertragbare Krankheit. 00:11:51:17 - 00:12:16:10 Sonja Merten Es ist in dem Sinne nicht stigmatisiert als sexuell übertragbare Erkrankung. Im globalen Süden ist es das und insbesondere wird es assoziiert mit HIV. Das heisst, Frauen gehen zum Teil nicht zum Screening, weil sie Angst haben, wenn sie positiv wären, dass dann ihre Familien und die Gemeinde denkt, sie seien auch HIV-positiv und das sei ihre Schuld, weil sie sich nicht korrekt verhalten hätten. 00:12:16:12 - 00:13:01:02 Sonja Merten Das heisst, diese sozialen Aspekte spielen hier noch eine viel grössere Rolle. Die Stigmatisierung schränkt den Zugang zu diesen Gesundheitsdienstleistungen noch zusätzlich ein. Und das andere Projekt, das ich hier nennen möchte, ist ein Projekt. Da geht es um Menstruation und Gesundheit rund um Menstruation. Wie Sie vielleicht schon gehört haben oder vielleicht eben noch nicht gehört haben, ist im globalen Süden die Menstruation oft ein Problem, insbesondere wenn Personen in sehr schlechten Bedingungen leben müssen. 00:13:01:02 - 00:13:48:09 Sonja Merten Also wenn es keine guten sanitären Infrastruktureinrichtungen gibt. Da können Frauen sich vielleicht nicht zu Hause waschen, sie müssen irgendwo hingehen, in die Öffentlichkeit, an einen Fluss oder auf ein Feld, wo sie sich dann waschen können. Das heisst, Frauen exponieren sich teilweise. Sie setzen sich der Gefahr aus, Opfer eines Übergriffs zu werden und insbesondere wenn sie sich zu Hause nicht quasi waschen können und die Hygieneprodukte nicht wechseln können, weil sie vielleicht gemeinsam mit der ganzen Familie in nur zwei Räumen wohnen, dann werden sie vielleicht auch diese Produkte sehr viel länger tragen. 00:13:48:09 - 00:14:25:02 Sonja Merten Das kann dann zu Entzündungen führen, zu Infektionen usw. In den letzten Jahren wurde dies stark aufgenommen, auch von der Weltgesundheitsorganisation. In den letzten zwei Jahren, dass man eben die Gesundheit rund um die Menstruation als Gesundheitsproblem auch anerkennen soll und dass Frauen in Würde leben sollen, auch während der Menstruation. Es gab viele Kampagnen, es wurde Geld gesprochen, um Menstruationsprodukte vermehrt auch im globalen Süden 00:14:25:03 - 00:14:54:17 Sonja Merten jetzt, in diesen verschiedenen Kontexten dann quasi an die Frau zu bringen. Jedoch hat das auch einen Haken. Und das ist, dass wir eigentlich nicht wissen, welche dieser Produkte sicher sind in diesen Situationen, wo die Hygienebedingungen sehr schlecht sind. Es ist auch sehr unterschiedlich. Stellen Sie sich vor, Sie sind irgendwo im Amazonasgebiet. Dort ist es immer feucht und heiss. 00:14:54:19 - 00:15:49:05 Sonja Merten Das ist ein ganz anderes Klima, als wenn Sie zum Beispiel in der Sahara oder im Sahel sind. Es ist trocken und heiss, dort haben Sie kein Wasser. Im Amazonas haben Sie Wasser. Das heisst, welche Produkte werden wem empfohlen? Wie wirkt sich das auf die Gesundheit der Frauen dann letztlich aus? Darüber wissen wir wenig. Wir wissen mittlerweile, dass es in den Produkten wie Tampons, aber auch in den Hygienebinden dass es toxische Stoffe drin enthalten kann und wie Sie wahrscheinlich auch wissen, ist es auch so, dass wenn man diese Produkte, die eingeführt werden wie Tampons, wenn man die nicht richtig verwendet, die heutigen Produkte, dass ein Risiko besteht eines toxic schock Syndroms, das in den 70er Jahren 00:15:49:05 - 00:16:24:13 Sonja Merten zum Tod von einigen Frauen auch geführt hat. Angesichts dessen gibt es einfach erstaunlich wenig Forschung zu diesem Thema und ich komme ja aus einer Public Health Perspektive. Und wenn ich daran denke, dass eigentlich die Hälfte der Menschheit während Monaten und Jahren diese Produkte trägt während ihres Lebens, ist es schon erstaunlich, dass man nicht genau hinsieht, ob diese Produkte eigentlich gesundheitsverträglich sind und in welchen Situationen man welche Produkte eigentlich empfehlen müsste. 00:16:24:15 - 00:16:34:12 Catherine Weyer Das bedeutet ja eigentlich, Ihre Forschung hat auch einen gewissen aktivistischen Ansatz, um überhaupt einmal Gelder zu bekommen, um diese Themen zu bearbeiten. 00:16:34:14 - 00:17:12:10 Sonja Merten Ja, ich denke jetzt die Gelder zu bekommen mit aktivistischen Ansätzen ist wahrscheinlich eher schwierig. Aber was man sagen muss, ist, dass das ganze Thema der Menstruationsgesundheit das wurde Frauengesundheitsaktivistinnen eigentlich ins Leben gerufen. Es gibt mittlerweile in ganz vielen Ländern: Indien, Kenia. Gibt es irgendwelche Influencer, die über ihre Menstruation sprechen und die darüber sprechen, welche Produkte sie verwenden und dass die Frauen darüber sprechen sollen, wenn sie ihre Menstruation haben usw. 00:17:12:12 - 00:17:42:08 Sonja Merten Von diesen Aktivistinnen wurde es auch ins Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit gebracht. Das hat wahrscheinlich auch dazu geführt, dass mehr Gelder für Projekte, die dann Menstruationsprodukte auch zur Verfügung stellen, verfügbar gemacht wird. Bei der Forschung, denke ich, ist es nach wie vor nicht ein Thema, das auf sehr viel Interesse stösst. 00:17:42:10 - 00:17:43:21 Catherine Weyer Woran liegt das? 00:17:43:23 - 00:18:07:23 Sonja Merten Da gibt es verschiedene Aspekte. Einerseits natürlich. Wenn Sie in die Runde fragen: Ist Menstruation ein Gesundheitsthema? Wenn Sie das bei Ärztinnen und Ärzten tun, dann werden sicher nach wie vor viele sagen Nein, das ist einfach ein Hygieneaspekt und solange das so ist, hat das natürlich auch nicht eine sehr grosse Priorität. 00:18:08:00 - 00:18:20:05 Catherine Weyer Hat das auch etwas damit zu tun, dass man bei Gesundheit den weissen Mann als Standard hat und sagt, die Frau ist eine Abweichung davon plus die Stigmatisierung rund um das Thema Menstruation. 00:18:20:07 - 00:19:02:24 Sonja Merten Ja, ich denke, das spielt alles mit. Die Stigmatisierung rund um das Thema Menstruation, das ist und das darf man einfach nicht ausser Acht lassen. Ich möchte Ihnen nochmals vielleicht ein Beispiel aus dem Unterricht geben. Eine der Kolleginnen, die hat Menstruationsgesundheit aus Workshop angeboten im Medizinstudium und auch die bakterielle Vaginose. Das ist eine nicht zwingend pathologische Zusammensetzung der Vaginalflora, aber möglich möglicherweise eine pathologische Zusammensetzung, der auch Auswirkungen längerfristig auf die Gesundheit haben kann. 00:19:03:01 - 00:19:33:18 Sonja Merten Sie hatte zwei Gruppen mit je drei Frauen und einem Mann, und die Männer haben sich dahingehend geäussert, dass sie zu diesem Thema nichts sagen können. Sie wollten also nicht, um dann sich äussern zu dem Thema. Und dann waren wir erstaunt und haben das dann in der Nachbereitung haben wir uns schon überlegt. Heisst das dann, dass Frauen, wenn es um Prostata-Beschwerden geht, einfach sagen Ja, ich habe das ja ein Thema, das interessiert mich nicht, das geht nicht. 00:19:33:20 - 00:20:01:02 Sonja Merten Da kann ich nichts dazu sagen. Ich habe ja keine Prostata. Und warum sind Sie trotzdem interessiert an Gynäkologie, Geburtshilfe oder an der Geburtshilfe, der Gynäkologie und Geburtshilfe? Also wir haben hier wirklich eine sehr verzerrte Wahrnehmung in unserer Gesellschaft, die gewisse Bereiche des weiblichen Körpers nach wie vor einfach tabuisiert. 00:20:01:08 - 00:20:10:11 Catherine Weyer Ich habe dazu auch noch einen Artikel gefunden: Blut und Scham wie die Menstruation zum Tabuthema wurde. Wir hören jetzt hier einen kurzen Ausschnitt. 00:20:10:13 - 00:20:41:12 Einspieler 60 Milliliter oder anderthalb Schnapsgläser. So viel Blut verlieren durchschnittlich derzeit rund 2 Milliarden Menschen auf der Welt an den Tagen ihrer Menstruation. Einige Frauen zelebrieren diese Zeit des Monats mit Ritualen. Andere Personen kämpfen mit starken Schmerzen, PMS oder Krankheiten wie Endometriose. Mancher erinnert die monatliche Blutung an einen Körper, in dem sie nicht sein wollen. Und wieder andere würden sie am liebsten einfach ignorieren. 00:20:41:14 - 00:21:13:06 Einspieler Doch egal, wie der persönliche Umgang mit der eigenen Monatsblutung aussieht, eines haben alle menstruierenden Personen gemeinsam Sie sind von einer seit Jahrtausenden bestehenden Stigmatisierung betroffen. Die Menstruation wird auch heute noch wie ein Fehler behandelt und löst negative Gefühle wie Scham oder Ekel und Assoziationen wie Unreinheit aus. Auf unsere heutige Sichtweise hatte auch die pseudowissenschaftliche Betrachtung der Menstruation einen grossen Einfluss. 00:21:13:08 - 00:21:36:03 Einspieler Bis in die 1980er Jahre gab es kaum gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, was im Körper während der Periode passiert. Das liess in den Jahrhunderten zuvor Raum für Spekulationen und falsche Theorien. So wurde das Menstruationsblut vom erste Jahrhundert nach Christus bis Mitte des 20. Jahrhunderts als giftiger Stoff gesehen. 00:21:36:05 - 00:21:56:10 Catherine Weyer Ich finde, das illustriert ganz schön, mit welchen Vorurteilen Frauen tagtäglich eigentlich zu kämpfen haben. Und das ist ja auch wieder ein globales Phänomen. Ich kenne keine Gesellschaft in der Menstruation ein Smalltalkthema wäre. 00:21:56:12 - 00:22:31:05 Sonja Merten Ja, da gebe ich Ihnen wahrscheinlich recht. Ich denke jedoch, dass es schon einen anderen Platz hatte in gewissen Kulturen zum Beispiel gab es ja auch in vielen Kulturen eine Initiation, wenn die Mädchen ihre erste Menstruation hatten, und das war dann ein Fest für das Mädchen, dass sie quasi jetzt zu einer Frau geworden ist. In einzelnen Kulturen wurden die Mädchen dann auch beschenkt und natürlich wurden sie dann auch als heiratsfähig betrachtet. 00:22:31:07 - 00:22:55:24 Sonja Merten Aber ich denke, in dem Sinne wurden sie dann auch unterwiesen in wie sie die Menstruation jetzt handhaben usw und ich denke nicht, dass diese diskriminierende Haltung gegenüber allen Frauen wirklich zwingend überall stattgefunden hat. Ich denke, das ist etwas, das schon sehr stark auch in unseren Breitengraden sehr stark verbreitet ist. 00:22:56:00 - 00:22:57:14 Catherine Weyer Also eine eurozentristische Sicht. 00:22:57:15 - 00:23:38:00 Sonja Merten Ich denke, das ist eine eurozentristische Sicht, nicht nur, aber ich bin überzeugt, es gibt auch Gegenbeispiele, wo es zumindest nicht so extrem ist. Also wenn wir zum Beispiel hören, dass Frauen während der Menstruation ausgeschlossen sind vom nicht kochen dürfen usw, wenn man sich vielleicht einmal versucht vorzustellen, wie das Leben war für diese Frauen oder erst für diese Frauen, dann ist es vielleicht auch ein Rückzugsort, eine Möglichkeit, zwei, drei Tage lang einfach nur zu sich zu schauen und mit der Menstruation jetzt quasi die eigene Gesundheit ins Zentrum zu stellen. 00:23:38:00 - 00:24:01:07 Sonja Merten Und nachher geht dann die Arbeit wieder los. Und wir haben jetzt die Tendenz dazu, dass wir das als Ausgrenzung und Diskriminierung betrachten. Ich denke, wir haben hier einfach auch viele Biases, auch gegenüber anderen kulturellen Vorstellungen rund um Fruchtbarkeit und Menstruation. Und ich würde das jetzt nicht unterschreiben wollen, dass das ein globales Phänomen ist. 00:24:01:13 - 00:24:10:13 Catherine Weyer Also eher, dass es vielleicht so ist, wie man hierzulande fordert, dass Frauen Krankheitstage einsetzen können, wenn sie ihre Menstruation haben. 00:24:10:15 - 00:24:17:03 Sonja Merten Ja, ich denke, das geht vielleicht, das wäre eine and eine alternative Interpretation dieser Dinge. 00:24:17:05 - 00:24:27:04 Catherine Weyer Wir haben jetzt viel darüber geredet, wie stigmatisiert Menstruation ist. Kann die Medizin da auch einen Beitrag leisten, dem entgegenzuwirken? 00:24:27:06 - 00:24:54:05 Sonja Merten Ich denke, es ist grundsätzlich ein gesellschaftliches Problem und die Medizin kann dem vielleicht etwas entgegensetzen. Allerdings ist das dann wieder, wird auch wieder der Körper der Frau medikalisiert. Wenn man jetzt die Menstruation als medizinisches Thema vollständig betrachtet, vielleicht kann es ein neutrales Thema werden dadurch, und das ermöglicht dann vielleicht auch einen gewissen gesellschaftlichen Wandel wiederum. 00:24:54:07 - 00:25:02:08 Catherine Weyer Und dennoch In Ihrer konkreten Forschung. Welches Thema hat auch die Menstruation? 00:25:02:10 - 00:25:33:12 Sonja Merten Wir haben im Moment ein Projekt, indem wir uns die Menstruation bei Frauen aus zwei Ländern etwas genauer ansehen, wie Frauen mit der Menstruation umgehen. Was das für sie bedeutet, wie sie ihren Alltag verändert, wie sie ihre Körperwahrnehmung verändert. Und zwar schauen wir das an in Kamerun und in Peru. Und in dieser Forschung werden wir auch mit diesen Frauen dann. 00:25:33:18 - 00:26:05:03 Sonja Merten Wir werden sie einladen, an einem Projekt teilzunehmen, in dem sie verschiedene Menstruationsprodukte ausprobieren können und uns dann ihre Erfahrungen dazu mitteilen können. Diese Forschung wird verbunden sein mit einem Trial. Das ist jetzt ein klinisches Trial, weil wir verschiedene Produkte verwenden, wo wir dann uns ansehen, wie wirkt sich diese Produkte, wenn sie gewechselt werden, auf das vaginale Mikrobiom aus? 00:26:05:03 - 00:26:33:05 Sonja Merten Also wenn jemand zum Beispiel jetzt Binden verwendet und dann wechselt auf Tampons. Findet man dann eine Veränderung im vaginalen Mikrobiom? Hier geht es darum auch zu sehen, ob diese Produkte vielleicht auch negative Auswirkungen haben können in diesen Settings, in denen wir das uns ansehen, weil wir eigentlich möchten, dass Frauen Zugang zu sicheren Produkten haben. 00:26:33:07 - 00:26:35:17 Catherine Weyer Wieso gerade Kamerun und Peru? 00:26:35:19 - 00:27:20:08 Sonja Merten Das hat damit zu tun, dass in diesen zwei Ländern bereits Teams von Frauen, die diese Fragen rund um das vaginale Mikrobiom erforschen. Eine der Fragen in diesem Zusammenhang ist auch: Ist das vaginale Mikrobiom unterschiedlich? In den europäischen Ländern hat man festgestellt, dass es sich zwischen verschiedenen Migrationsgruppen unterscheidet, aber wir wissen nicht, was das mit Lebensraum zu tun gibt es eine genetische Komponente usw und deswegen haben verschiedene Forscherinnen in verschiedenen Ländern begonnen, solche Studien nicht in Ländern von Industrienationen zu machen, sondern eben in Ländern mit geringerem Einkommen. 00:27:20:10 - 00:27:29:07 Sonja Merten Wir werden das vergleichen mit Daten aus Belgien und hoffentlich auch bald mit Daten aus der Schweiz. 00:27:29:09 - 00:27:36:18 Catherine Weyer Und dann wäre es irgendwann auch möglich, Empfehlungen zu treffen, welche Hygieneprodukte verwendet werden sollten. 00:27:36:20 - 00:28:11:14 Sonja Merten Das ist sicher noch ein weiter Weg. Genau. Aber zuerst möchten wir einfach auch dafür sensibilisieren. Mit unserem Projekt in Peru und Kamerun. Das ist wirklich wichtig ist, dass man sich diese verschiedenen Settings ansieht, dass wir aus diesen Resultaten schon einmal lernen können, dass es mehr Forschung braucht. Wir sind überzeugt, dass es mehr Forschung braucht. Die Forschung, die es schon gab in diesem Bereich, deutet darauf hin, dass es Unterschiede gibt, je nach Produkte, die verwendet werden in Bezug auf die auf das vaginale Mikrobiom und auch dann auf das Auftreten von Folgeerkrankungen. 00:28:11:16 - 00:28:16:06 Sonja Merten Aber eben, wie gesagt, die Datenlage ist noch sehr dünn. Wir sind hier erst am Anfang. 00:28:16:08 - 00:28:25:05 Catherine Weyer Wenn wir jetzt einen Blick in die Zukunft wagen, sagen wir in zehn, 15 Jahren. Was erhoffen Sie sich? Wo sind wir weiter beim Thema Gender and Health? 00:28:25:07 - 00:28:58:21 Sonja Merten Also ich hoffe auf alle Fälle, dass wir sehr viel mehr Frauen in der Forschung haben und auch in der Lehre. Ich denke, da ist wirklich das ist der Schlüssel zu allem, weil Frauen haben teils nicht natürlich nicht zwingend, aber teils auch andere Prioritäten, weil gewisse Themen vielleicht für Männer nicht so interessant sind wie umgekehrt auch. Und wenn wir mehr Frauen haben, die ein Thema wie Menstruation vielleicht interessant finden, dann wird auch mehr Forschung dazu gemacht werden. 00:28:58:21 - 00:29:25:17 Sonja Merten Aber die Frauen müssen auch in der Forschung präsent bleiben. Und wir sehen ja immer noch diese Leaky Pipeline, dass quasi nach der Dissertation weniger Frauen eine Habilitation machen, weniger Frauen berufen werden und in der medizinischen Fakultät, ich meine, als ich begonnen habe zu studieren, wie gesagt, waren da schon wir waren schon die Hälfte, aber wir sind weit davon weg, die Hälfte Professorinnen zu haben. 00:29:25:17 - 00:29:31:10 Sonja Merten In der medizinischen Fakultät und in der Forschung insgesamt ist das ähnlich. 00:29:31:12 - 00:29:44:24 Catherine Weyer Wenn ich noch mal auf unser Beispiel vom Anfang zurückkommen: Glauben Sie, dass in zehn, 15 Jahren noch immer das Beispiel gebracht werden muss mit der Frau, bei der der Herzinfarkt mit einer Panikattacke falsch diagnostiziert wird? 00:29:45:01 - 00:29:54:11 Sonja Merten Ich hoffe, dass es vielleicht etwas weniger häufig vorkommt, aber ich befürchte, dass das vielleicht auch in zehn und 15 Jahren nach wie vor geschieht. 00:29:54:13 - 00:30:01:04 Catherine Weyer Werden wir irgendwann darüber hinwegkommen? Werden wir, wenn wir es irgendwann schaffen, Frauen und Männer gleichberechtigt anzuschauen? 00:30:01:09 - 00:30:33:24 Sonja Merten Ja, ich denke, da sind schon auch wiederum die Frauen gefragt, oder nicht nur die Männer und die Männer sind auch gefragt. Aber wir, wir können uns auch nicht ausruhen. Auf den Erfolgen und Errungenschaften, die die Frauen vor uns erreicht haben. Es ist halt schon so, dass sehr schnell alles wieder zurück kippt. Niemand gibt Privilegien freiwillig auf und wenn dann die Männer in der Karriere, im Karriereverlauf merken, dass sie einen Vorteil haben, dann möchte man den vielleicht auch nicht einfach wieder abgeben. 00:30:33:24 - 00:30:43:18 Sonja Merten Also die Frauen müssen auch halt nach wie vor auch kämpfen, um diese Errungenschaften zu halten und weiter auszubauen. 00:30:43:20 - 00:30:46:15 Catherine Weyer Frau Merten, vielen herzlichen Dank! 00:30:46:17 - 00:31:09:13 Catherine Weyer Das war Unisonar, der Wissenspodcast der Universität Basel. Wir freuen uns über euer Feedback auf podcast@unibas.ch oder auf unseren Social Media Kanälen. In der nächsten Folge spricht die Sprachwissenschaftlerin Jana Tschannen darüber, wie Sprache unsere Sicht auf Geschlecht beeinflusst, wieso ein Pronomen für das dritte Geschlecht nicht reicht und weshalb Männer-Werbung immer von Männern eingesprochen wird. 00:31:09:15 - 00:31:18:02 Catherine Weyer Bis bald.